Kaleido Ostbelgien


ADHS – hyperaktiv, impulsiv und unkonzentriert

ADHS geht mit starken Gefühlen einher. Auch die schulische Leistung leidet. Um das Selbstwertgefühl zu schützen, ist eine frühe Diagnose wichtig.

ADHS – was ist das? 

Die Buchstaben ADHS stehen für das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom, das auch oft als Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung bezeichnet wird. Fehlt die Hyperaktivität als Symptom, spricht man von ADS. 

Von ADHS betroffene Kinder und Jugendliche unterscheiden sich von anderen darin, wie sie die Welt erleben und wie sie sich verhalten. Die Unterschiede zeigen sich insbesondere in den Bereichen Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Auch andere Kinder und Jugendliche sind mitunter unkonzentriert, und jüngere Kinder sind meist lebhafter als ältere Kinder. Bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS sind diese Eigenschaften im Vergleich zu Gleichaltrigen jedoch deutlich stärker ausgeprägt. Zudem haben diese Felder – Konzentration, (Hyper-)Aktivität und Impulsivität – einen starken Einfluss auf die schulischen Leistungen und beeinflussen oft die Beziehungen zu Eltern, Lehrpersonen und Freundinnen und Freunden.  

  • Unaufmerksamkeit: Kinder und Jugendliche mit ADHS können sich nur schwer konzentrieren. Es fällt ihnen schwer, bei einer Sache zu bleiben; sie bringen begonnene Sachen oft nicht zu Ende und lassen sich leicht ablenken. Umgekehrt kann ein für sie sehr spannendes und interessantes Thema zu einer erstaunlichen Konzentrationsfähigkeit führen. Daher spricht man auch gerne anstelle von einem Aufmerksamkeitsdefizit von einem Aufmerksamkeits-Lenkungs-Defizit. Kindern und Jugendlichen mit ADHS fällt es oft schwerer, ihre Aufmerksamkeit willentlich zu steuern. 

  • Hyperaktivität: Es gibt zwei Formen von ADHS, mit und ohne Hyperaktivität (H). Menschen mit ADS sind ruhig, sehr verträumt und unaufmerksam. Bei ADHS sind die Menschen unruhig, zappelig und ebenfalls unaufmerksam.  
    Hyperaktivität bezieht sich auf die körperliche Unruhe und einen massiven Bewegungsdrang. Wichtig ist hier zu betonen, dass sich zu bewegen enorm wichtig für Kinder ist und zur Entwicklung dazugehört. Wie so oft ist es eine Frage der Intensität und Häufigkeit. Jugendliche und Erwachsene mit ADHS sind auch oft hyperaktiv, dies macht sich aber eher durch innerliche Angespanntheit als durch äußerliche Unruhe bemerkbar. Außenstehende bekommen daher weniger von ihrer Hyperaktivität mit. 

  • Impulsivität: Darunter versteht man die Unfähigkeit, Impulse zu unterdrücken. Impulsiv zu handeln bedeutet, dass eher unüberlegt und vorschnell gehandelt wird, direkt aus einem Gefühl heraus, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. 

ADHS geht oft mit starken Gefühlen einher. Menschen mit ADHS sind häufig sehr unsicher und schüchtern, trauen sich wenig zu. Manche neigen zu starken Wutausbrüchen, Weinanfällen und Selbstzweifeln.  

Im Kindesalter dominieren häufig die Symptome von Hyperaktivität und Impulsivität, während in der weiteren Entwicklung, vor allem im Jugendalter, die Unaufmerksamkeit im Vordergrund steht.  

Diagnose 

Die Diagnose ADHS wird anhand der oben beschriebenen Symptom-Kategorien gestellt. Eine sorgfältige Diagnostik ist wichtig, denn auch eine Entwicklungsstörung, eine instabile Familiensituation oder eine neurologische Erkrankung können Auslöser oder Verstärker der beschriebenen Symptome sein. Erschwerend für die Diagnostik von ADHS ist, dass es bisher keinen standardisierten, normierten Test gibt. Die Diagnosestellung besteht aus mehreren Bausteinen. Dazu gehören Testverfahren (Intelligenztest, Konzentrationstest, projektive Testverfahren, schulische Tests), Fragebögen für Eltern und Lehrpersonen, Verhaltensbeobachtungen und Anamnesegespräche. Zusätzlich muss ein fachärztlicher Befund erstellt werden, der ausschließt, dass sich die beobachteten Auffälligkeiten durch körperliche Ursachen erklären lassen (Hör- und Sehprobleme, eine Dysfunktion der Schilddrüse o. Ä.). Im Anschluss muss der- oder diejenige, der/die die Diagnose stellt, aufgrund der gesammelten Informationen entscheiden, ob ein ADHS diagnostiziert werden kann. So sind zum Beispiel im DSM-5 (Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen) eine lange Reihe von Symptomen der Kategorien Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität aufgelistet. Um die Diagnose zu stellen, müssen mindestens sechs solcher Symptome während der letzten sechs Monate beständig in einer bestimmten Ausprägung und an den verschiedenen Lebensorten vorhanden gewesen sein (American Psychiatric Association, 2015). 

Ist die Diagnose da, wird sie von Familie zu Familie anders erlebt. Insbesondere Eltern befürchten oft, dass ihr Kind dadurch stigmatisiert wird. Ob eine Diagnose schädlich oder hilfreich ist, hängt davon ab, wie die Reaktionen auf sie ausfallen. Sie kann hilfreich sein, wenn sie als Information verstanden wird, wenn dadurch die Auffälligkeiten beim Kind und Jugendlichen besser verstanden werden, wenn Unterstützungsmaßnahmen entwickelt werden ausgehend von der Individualität, den Fähigkeiten und der Problematik des Kindes. Stigmatisierung entsteht dann, wenn ein Kind auf die Diagnose reduziert wird, wenn jedes Verhalten auf die Auffälligkeit reduziert wird und dadurch eine Handlungsunfähigkeit entsteht, nach dem Motto: „Dann ist das so, da kann man dann nichts machen“.  

Ursachen 

Bis heute gibt es keine eindeutige und allumfassende Erklärung für die Entstehung von ADHS. Einig ist sich die Wissenschaft darin, dass ADHS eine neurobiologische Störung ist. Das bedeutet, dass die Ursache im Gehirn liegt. Dort gibt es Botenstoffe (Nor-Adrenalin und Dopamin), die dafür sorgen, dass Reize weitergeleitet werden. Bei Menschen mit ADHS gibt es Veränderungen bei den Botenstoffen; Dopamin wird zum Beispiel viel schneller abgebaut.  

Man geht heute aber auch davon aus, dass genetische Veränderungen zusammenwirken und dass diese genetischen Faktoren auch noch mit anderen Einflussfaktoren (z. B. Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen) oder auch Umwelteinflüssen zusammenwirken.  

Behandlung 

Es ist für Kinder und Jugendliche mit ADHS sehr wichtig, dass sie rechtzeitig und frühzeitig behandelt werden, da ihr Selbstwertgefühl enorm unter den vielen Ermahnungen und Misserfolgen leiden kann. Die Behandlung kann und sollte vielfältig sein. Sie bezieht neben einer sorgfältigen Diagnose auch die Beratung der Eltern, Lehrpersonen und von anderen wichtigen Bezugspersonen sowie psychotherapeutische und psychosoziale Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen für den Betroffenen / die Betroffene mit ein. 

Eine medikamentöse Therapie kann auch, als Ergänzung, sinnvoll und hilfreich sein. Die Fähigkeit zur Selbststeuerung wird dadurch unterstützt. Ein Medikament sollte jedoch nur verordnet werden, wenn nach umfassender Untersuchung die Diagnose ADHS eindeutig gestellt ist, wenn pädagogisch-psychologische Interventionen allein offenbar nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Auffälligkeiten rasche Hilfe notwendig ist.  

Wie fördert man Kinder und Jugendliche mit ADHS? 

Kinder und Jugendliche mit ADHS haben, wie andere auch, ihre ganz individuellen Stärken und Schwächen, und wie bei anderen auch, sollte man darauf achten, die Stärken in den Mittelpunkt zu stellen. Hier sei zum Beispiel erwähnt, dass Impulsivität sich sehr oft in Spontanität, Flexibilität und auch Kreativität ausdrücken kann. Eine gute Abklärung ermöglicht es Eltern und Lehrpersonen, über ihre eigenen Beobachtungen hinaus ihre Sichtweisen auf die Stärken und Schwächen zu verfeinern. Ein gutes Verständnis ist der Schlüssel zur Veränderung. Wir können die Kinder und Jugendlichen nicht zu einer Veränderung ihrer häufig doch sehr unbewussten Muster zwingen. Als Eltern, als Lehrpersonen können wir unsere Haltung ändern und ihnen so die Chance geben, sich selbst zu ändern.  

Zentraler Ansatzpunkt sollte die Förderung der Selbststeuerung sein. Bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS sind die exekutiven Funktionen in ihrem Reifeprozess „gestört“. Diese exekutiven Funktionen helfen uns dabei, unsere Aufmerksamkeit bewusst zu steuern, zwischen Aufgaben hin und her zu wechseln, zu organisieren, zu planen und flexibel auf Unvorhergesehenes einzugehen. Bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS sind Weitblick, Rückschau, Planung und Reflexion große Herausforderungen. Darauf zu achten und diese Prozesse zu unterstützen sind sehr oft ganz wichtige Maßnahmen.   

Schon kleine Veränderungen können eine große Wirkung entfalten. So sollte man den Sitzplatz in der Schule und zu Hause zum Lernen so gestalten, dass er wenig Ablenkung beinhaltet: ruhige Sitznachbarn, kein Platz in der letzten Reihe und/oder am Fenster, wenig Material. Die Arbeitsmaterialien sollten gut strukturiert und übersichtlich dargestellt sein, wobei gilt, dass weniger mehr ist. Das Tagebuch sollte sowohl von Eltern wie von Lehrpersonen überprüft werden. Einzelne Arbeitsschritte sollten zeitlich überschaubar sein, d. h. nicht länger als 20 Minuten dauern. 

Im Unterricht und zu Hause ist es wichtig, die Zeit greifbar zu machen. Häufige, positive und zeitnahe Rückmeldungen sind sehr wicht+ig. Ebenso ist es wichtig, den Bewegungsdrang zu akzeptieren und ihm Raum zu geben, zum Beispiel durch kleine Botengänge. Bewegung sollte gezielt in den Alltag und ins Lernen eingebaut werden. Innerhalb einer Klasse sollten klare Regeln bestehen, die auch eingehalten werden.  

ADS 

ADS ist die Form von ADHS ohne Hyperaktivität. Kindern und Jugendlichen, die an ADS leiden, fällt es sehr schwer, sich zu konzentrieren. Sie sind ruhig und verlieren sich sehr schnell in Tagträumen. Verträumte Kinder empfinden es als besonders anstrengend, wenn viel Neues auf sie einströmt und es laut und hektisch zugeht. Sie sind auf Zeiträume angewiesen, in denen sie sich zurückziehen und ihren Tagträumen nachhängen können. Äußerer Druck hat häufig zur Folge, dass sie sich in ihre Innenwelt zurückziehen. Es fällt ihnen schwer, diese Tagträume willentlich zu unterdrücken, zu registrieren, wenn sie abschweifen. Es fällt ihnen schwer, sich neu zu konzentrieren. Die Anforderungen der Schule sind daher besonders hoch, Rückstände bauen sich schnell auf. Auch hier gilt: Wenn Kinder oder Jugendliche unter ihrer Verträumtheit leiden oder ihre Vergesslichkeit, Langsamkeit und mangelnde Konzentrationsfähigkeit ihre Entwicklung beeinträchtigen, kann eine Abklärung sinnvoll sein. Liegt eine gesicherte Diagnose vor, erleichtert dies den Zugang zu einer Therapie und hilft, von der Schule Unterstützung zu bekommen.  

Angebot Kaleido 

Im Prozess der Diagnosestellung können wir jedoch wichtige Bausteine liefern durch (Anamnese-)Gespräche, Verhaltensbeobachtungen und angepasste Testverfahren. Dies auch, um eventuell andere Erklärungen für die Verhaltensweisen mit in Betracht zu ziehen.  

Ziel ist eine gute und breite Abklärung der Stärken und Schwächen eines Kindes, und dies in Zusammenarbeit mit dem Kind und den wichtigen Bezugspersonen, meist Eltern und Lehrpersonen (dies setzt das Einverständnis der Eltern voraus). 

Diese breite Abklärung soll zu einem noch besseren Verständnis verhelfen. Sie soll außerdem die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren aufrechterhalten oder gegebenenfalls verbessern und zu konkreten Hilfe- und Unterstützungsmaßnahmen führen, angepasst an die Individualität des Kindes.  

Gegebenenfalls unterstützen wir die Diagnosestellung dadurch, dass wir die Adressen von Spezialisten weitergeben und unsere Erkenntnisse verschriften. Wir stellen jedoch keine Diagnose und verschreiben auch keine Medikamente.  

Literaturangaben

American Psychiatric Association (2015): Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen DSM-5 (1. Auflage), Göttingen, Hogrefe

Ettrich C., Murphy-Witt M. (2006): ADS – so fördern Sie Ihr Kind, 4. Auflage, München, Gräfe und Unzer

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich und Elpos (2020): Was ist eine ADHS , adhs-organisation.ch, https://bit.ly/3BndDiS, Online (zugegriffen am: 24.08.2021)

Peters U. (2014): adhs, was bedeutet das? Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) https://bit.ly/3gMk5rL , Online (zugegriffen am: 12.12.2021)

Rietzler S., Grolimund F. (2019): Erfolgreich lernen mit ADHS. Der praktische Ratgeber für Eltern, 3. Auflage, Göttingen, Hogrefe

Rietzler S., Grolimund F. (2020): Verträumte Kinder unter Druck, in: Fritz+Fränzi, Das Schweizer ElternMagazin, S. 10–24, https://bit.ly/3sWn1qA, Online (zugegriffen am: 24.08.2021)