Kaleido Ostbelgien


Sexuelle Gewalt

Die Kindheit und die Jugend sind bedeutende Lebensabschnitte im Leben eines jeden Menschen. Erlebnisse, die in dieser Zeit gemacht werden, sind prägend für die weitere Entwicklung. Die meisten Menschen, die an Kindheit oder Jugend denken, stellen sie darunter eine glückliche und unbeschwerte Zeit vor, die von Geborgenheit, Zuneigung und positiven Erfahrungen geprägt ist. Leider ist dies nicht immer der Fall und so bleibt diese Vorstellung für manche Kinder und Jugendliche nur eine Wunschvorstellung.

 

Nicht selten machen Kinder und Jugendliche bereits in ihrer Kindheit negative und traumatische Erfahrungen, deren Spuren häufig bis ins spätere Leben noch erkennbar sind. Sexuelle Gewalt gehört zu solchen traumatischen Erfahrungen und ist eine ernstzunehmende und allgegenwärtige Problematik. Daher ist es wichtig, das Leid der Betroffenen anzuerkennen, über die möglichen psychischen Folgen aufzuklären und sich über die Entwicklung und Zukunft von Kindern und Jugendlichen Gedanken zu machen, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind. 

Was versteht man unter sexueller Gewalt?

„Sexuelle Gewalt ist eine individuelle, alters- und geschlechtsabhängige Grenzverletzung und meinte jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind oder einem Jugendlichen entweder gegen den Willen vorgenommen wird oder der das Kind oder der Jugendliche aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Der Täter nutzt seine Macht- und Autoritätsposition aus, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen.“ (Bange & Deegener 1996, s.105)

Im Fall von sexueller Gewalt dient die körperliche Nähe nicht dazu Zuneigung auszudrücken, sondern wird zur eigenen Bedürfnisbefriedigung genutzt. Sexuelle Gewalt wird bewusst von dem Täter geplant, dass bedeutet das der Täter meist in überlegter Absicht handelt. Sexuelle Gewalt zeichnet sich immer durch einen Vertrauens- und Machtmissbrauch aus.

Es existieren verschiedene Formen von sexueller Gewalt: anzügliche Blicke, verbale Belästigungen oder scheinbar zufälliges und unangepasstes Berühren des kindlichen Körpers. Zudem unterscheidet man zwischen Missbrauchshandlungen, die am Körper des Kindes/Jugendlichen durchgeführt werden (z.B: Küsse, Manipulation der Genitalien, vaginale/orale/anale Penetration) und Missbrauchshandlungen, bei denen der Körper des Kindes/Jugendlichen nicht berührt wird (z.B: exhibitionistische Handlungen, das Fotografieren oder Filmen von Kindern/Jugendlichen, Masturbation vor dem Kind/Jugendlichen).

Folgen sexueller Gewalt

Das Durchleben von sexueller Gewalt ist ein traumatisches Erlebnis, dass bei den Betroffenen vor allem auf psychischer Ebene seine Spuren hinterlässt. Wie schwerwiegend die Folgen sind, hängt von verschiedenen Faktoren, wie beispielsweise der Intensität und der Häufigkeit der Tat ab. Aber auch die Tatsache, ob die sexuelle Gewalt von einer vertrauten und bekannten Person verübt wurde hat einen Einfluss auf die Schwere der psychischen Folgen. Ein weiterer Aspekt, der die psychischen Folgen sexueller Gewalt beeinflussen kann, besteht darin, ob das Opfer Hilfe und einfühlsame Reaktionen (z.b: Trost, Zuwendung) in seinem Umfeld erfährt. Macht das Opfer jedoch die Erfahrung, dass an seiner Glaubwürdigkeit gezweifelt und ihm nicht geholfen wird, so kann das psychische Leiden des Opfers noch verstärkt werden.  

Anzeichen, die auf sexuelle Gewalt hinweisen

Es gibt verschiedene Anzeichen, die darauf hinweisen können, dass ein Kind oder Jugendlicher Opfer von sexueller Gewalt geworden ist.

  • Körperliche Auffälligkeiten: Griffmale, Bissspuren, Knutschflecke
  • Psychische Auffälligkeiten: Verhaltensauffälligkeiten (z.B: ausgeprägte Schüchternheit, Zurückhaltung, Aggressivität) oder Stimmungsschwankungen
  • Soziale Auffälligkeiten: plötzliche Verhaltensänderungen im familiären oder sozialen Umfeld
  • Verbale/nonverbale Äußerungen des Kindes/Jugendlichen:

Verarbeitung und Umgang mit traumatischen Erlebnissen

Jeder, der früher oder später mit den traumatischen Erlebnissen seines Lebens konfrontiert wird, muss eine emotionale Arbeit leisten, um sich anzupassen. Ein Kind/Jugendlicher kann diese emotionale Arbeit jedoch nicht allein tun, sondern ist auf die psychologische Fähigkeit seiner Eltern oder anderen Bezugspersonen angewiesen. Diese können es verstehen, begleiten und dem, was es durchmacht, einen Sinn geben, indem sie mit ihm über seinen Körper, seine Gefühle, seine Emotionen sprechen. Dieser Austausch ist wichtig, damit das Kind/Jugendlicher ein Daseinsgefühl aufbauen kann.

In manchen Kontexten können die psychischen Folgen und Verletzungen, die durch traumatische Erlebnisse in der Kindheit hervorgerufen wurden, jedoch so schwerwiegend sein, dass sie die Fähigkeit des Kindes/Jugendlichen zu verstehen, zu assimilieren oder zu erzählen, was mit ihm geschieht, übersteigen. Dieser Ausarbeitungsprozess kann noch dadurch erschwert werden, dass ein Kind/Jugendlicher denkt, es sei "normal", auf diese Weise behandelt zu werden oder die Ursache der Misshandlung zu sein. Wenn es an Fürsorge und emotionaler Sicherheit mangelt, kann ein Kind/Jugendlicher so viel Leid und Einsamkeit erleben, dass die Gefahr von "Entwicklungsstörungen" oder sogar Traumata besteht.

Damit Kinder/Jugendliche die emotionale Arbeit leisten können, die notwendig ist, um mit den traumatischen Erlebnissen umzugehen, ist es von wesentlicher Bedeutung, dass das Kind/Jugendlicher mit seiner Notlage nicht allein bleibt und dass es sich auf andere Bezugspersonen verlassen kann, die ihn dabei unterstützen das Erlebte in Worte zu fassen. Diese Unterstützung kann sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie gefunden werden. Wenn das Kind/Jugendlicher in der Lage ist andere Bindungen zu Erwachsenen aufzubauen, wird es positive und heilende Erfahrungen machen. Diese Erfahrungen ermöglichen es ihm ein Gefühl von emotionaler Sicherheit aufzubauen und seine emotionalen Fähigkeiten zu entwickeln.

Die Rolle der Bezugspersonen

Aus Angst vor den Reaktionen ihres Umfelds schrecken Kinder und Jugendliche oftmals davor zurück von ihren traumatischen Erlebnissen zu erzählen. Dies ist vor allem der Fall, wenn der Täter aus dem familiären oder näheren sozialen Umfeld stammt.

Wenn Kinder oder Jugendliche, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind, sich jedoch entschließen, über das Erlebte zu sprechen und die Hilfe einer Bezugsperson aufsuchen, ist es wichtig, dass diese Bezugsperson einfühlsam und unterstützend reagiert. Da oft auf Anhieb nicht absehbar ist, wie schwerwiegend die psychischen Folgen und Verletzungen sind, ist es wichtig, dass die Bezugspersonen geduldig sind und Gesprächsbereitschaft vermitteln, ohne die Kinder/Jugendlichen zu drängen oder mit Fragen zu überfordern. Damit Kinder/Jugendliche spüren, dass dies ein sicherer Ort ist, um über die traumatischen Erlebnisse und Gefühle zu sprechen, ist es wichtig, dass sie das Gefühl haben die Bezugsperson glaubt ihnen und nimmt sie ernst. Bezugspersonen sollten den Kindern/Jugendlichen klar vermitteln, dass diese Erfahrungen und das Verhalten des Täters nicht in Ordnung sind und die Verantwortung für diese Grenzüberschreitung ausschließlich beim Täter liegt.

Um angemessen reagieren und den Kindern/Jugendlichen die richtige Hilfe zukommen zu lassen, sollten die Bezugspersonen sich an Fachleute (z.B: Therapeuten, Kaleido Ostbelgien, Jugendhilfedienst) wenden. Diese können die Betroffenen sowie deren Umfeld bei der Bewältigung der traumatischen Erlebnisse auf psychischer Ebene unterstützen.