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Hochsensibilität

Bei der Hochsensibilität oder einer HSP (Highly Sensitive Person) handelt es sich nicht, wie viele vermuten, um eine Störung oder Erkrankung, sondern um die angeborene Fähigkeit, Reize intensiver und vielschichtiger wahrzunehmen.

 

Wir alle machen die Erfahrung, dass die Menschen um uns herum Reize etwas anders wahrnehmen als wir selbst. Was uns zu laut oder stressig ist, ist für andere genau richtig; dass die Freundin eine neue Brille trägt, haben wir nicht bemerkt, aber die Freundin erkennt sofort, dass wir eine neues Kleidungsstück tragen. Bei der Reaktion auf äußere Reize gibt es eine große individuelle Bandbreite. Manche Menschen jedoch reagieren deutlich empfindlicher auf Sinneseinflüsse.  

 

Das Phänomen der Hochsensibilität wurde 1990 erstmals durch die amerikanische Psychotherapeutin Elaine Arons beschrieben, die bis heute als Pionierin auf diesem Gebiet gilt.  

 

Menschen, die hochsensibel sind, besitzen aufgrund dieser angeborenen Fähigkeit ganz besondere Wesenszüge. Ihr Gehirn verarbeitet Sinneseinflüsse besonders gründlich, weshalb sie die Welt um sich herum stärker und facettenreicher wahrnehmen. Für Betroffene hat dies sowohl positive als auch negative Effektive. Neben einem großen Maß an Gewissenhaftigkeit verfügen Hochsensible über viel Einfühlungsvermögen für ihre Mitmenschen. Nicht selten sind sie künstlerisch begabt und selbst für die kleinsten Dinge im Leben zu begeistern. Dass Reize nicht so stark gefiltert und detaillierter wahrgenommen werden, hat jedoch auch negative Aspekte. Viele berichten, von äußeren Reizen oder den eigenen Gefühlen oftmals nahezu überrannt zu werden. So kommt es schneller zu einer Überstimulation, die in Form von Angst, Stress und Stimmungsschwankungen noch lange nachwirken kann. Lärm, Chaos, Trubel sowie plötzliche Veränderungen stellen diese Menschen vor eine Herausforderung, deren Bewältigung ihnen tagtäglich viel Kraft abverlangt.  

 

Wir listen hier weitere typische Erkennungsmerkmale der Hochsensibilität auf. Es sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Grenze zwischen einer durchschnittlichen und einer besonders sensiblen Wahrnehmung fließend verläuft und jeder Mensch individuell ist, sodass Verallgemeinerungen nicht möglich sind. 

 

Hochsensible … 

- haben ein Auge für Details und bemerken selbst kleinste Veränderungen 

- sind sorgfältig oder sogar perfektionistisch 

- nehmen Geräusche, Gerüche und Temperaturen intensiver wahr 

- haben eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit 

- sind anfälliger für Stress, Kritik und Belastungen 

- verfügen über ein großes Einfühlungsvermögen anderen gegenüber 

- sind harmoniebedürftig 

- wirken zurückhaltend und schüchtern 

- verfügen über eine Art Intuition 

- haben einen starken Gerechtigkeitssinn 

- suchen nach dem Sinn im Dasein 

- erleben intensive Erfahrungen in Kunst und Natur 

- verfügen über viel Kreativität und Fantasie 

- haben Schwierigkeiten, mit Neuem und Unbekanntem zurechtzukommen 

- reagieren sensibel auf verbale und nonverbale Signale ihres Gegenübers 

- scheuen Konflikte 

- erleben Verluste und Trauer intensiver  

 

Man geht davon aus, dass eine Hochsensibilität bei etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung auftritt und genetisch bedingt ist. Obwohl ebenso viele Männer wie Frauen betroffen sind, haben Männer die Tendenz, dieses Merkmal eher zu verbergen, was kulturell und gesellschaftlich verstärkt wird.  

 

Weil Hochsensibilität angeboren ist, entsteht bei Betroffenen bereits im Kindesalter der Eindruck, „irgendwie anders“ zu sein. Viele berichten davon, dass die Schulzeit für sie eine große Herausforderung darstellte. Sie hätten sich nicht richtig verstanden gefühlt und es sei nur wenig auf ihre Bedürfnisse eingegangen worden.  

 

Um hochsensible Kinder in ihrer Entwicklung zu unterstützen, bedarf es zunächst eines Bewusstseins, dass Menschen Reize unterschiedlich intensiv wahrnehmen und darauf reagieren. Das Umfeld der Kinder und der Umgang mit ihren Bedürfnissen und Schwierigkeiten trägt maßgeblich dazu bei, wie Kinder im Alltag zurechtkommen und wie sie lernen, mit ihrer Hochsensibilität umzugehen. Nur wenn sie in ihren Empfindungen ernst genommen und ihre Grenzen akzeptiert werden, lernen die Kinder, sich selbst zu akzeptieren. Da hochsensible Kinder zudem empfindlicher auf Stress reagieren und schneller ermüden, benötigen sie mehr Sicherheit und Rückzugsmöglichkeiten, sowohl im familiären als auch im schulischen Umfeld. Besonders in der Schule gilt es, die richtige Balance zwischen Anforderung und Schutz der Kinder zu finden.  

 

Das Leben mit einer Hochsensibilität ist eine große Herausforderung, die viele Belastungen mit sich bringen und für Betroffene Segen und Fluch zugleich sein kann. Doch statt die Hochsensibilität als Schwäche anzusehen, sollte ihr Umfeld sie als eine Begabung betrachten. Denn um sich und ihre Stärken richtig entfalten zu können, benötigen hochsensible Menschen in erster Linie unser Verständnis und Vertrauen.  

Links

Literaturangaben

Aron, Elaine N. (2014). Hochsensible Menschen in der Psychotherapie. Paderborn: Junfermann Verlag. 


Blach, Christina & Egger, Josef W. (2014). Hochsensibilität  - ein empirischer Zugang zum Konstrukt der hochsensiblen Persönlichkeit. 


Harke, Sylvia (2019). Hochsensibel -Was tun? München: Goldmann Verlag.


Kärnbach, Jennifer (2020). Sonderausgabe: Hochsensibilität. In: Inklusion in der Schule.