Wir sprechen über Ursachen, Wirkungen aber auch Wechselwirkungen sowie von der Bedeutung, das Kind, den Jugendlichen, die Eltern, die Schule und das Lebensumfeld im Lösungsprozess zu involvieren. Es geht darum, in gemeinsamer Kooperation der verschiedenen Akteure im Umfeld des betroffenen Kindes dessen als auffällig bewertetes Verhalten zu verstehen, miteinander Lösungen zu entwickeln und Maßnahmen umzusetzen.
Wir sprechen zudem davon, wie unser Dienst „Kaleido Ostbelgien“ diesen Prozess unterstützen kann und welche Rolle wir in der Prävention von herausforderndem Verhalten von Kindern und Jugendlichen einnehmen.
Psychische Gesundheit
Psychische Gesundheit ist ein beständiger Entwicklungsprozess und gehört zu den Grundpfeilern einer gesunden Entwicklung. Psychische Gesundheit versetzt den Menschen in die Lage, mit den alltäglichen Herausforderungen und Aufgaben umzugehen und diese bewältigen zu können.
Dies gelingt, sofern sich Herausforderungen und Belastungen mit den verfügbaren Mitteln und Ressourcen der Bewältigung die Balance halten. Das Wissen um die eigenen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen, die positiven Erfahrungen, die Unterstützung von Eltern, Familie, Freunden, Schule und anderen Bezugspersonen spielt in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle.
Nicht immer gelingen die Bewältigungsstrategien gleichermaßen gut, die Waage gerät zu lange aus dem Gleichgewicht, Unterstützung fehlt und psychische Symptome wie Angst, Trauer, Wut oder Aggressivität zeigen sich, aus denen sich Verhaltensauffälligkeiten entwickeln können.
Verhaltensauffälligkeiten
Als „verhaltensauffällig“ wird ein Kind oder ein Jugendlicher immer dann bezeichnet, wenn es sich erheblich anders verhält als die meisten anderen Kinder seines Alters in gleichen oder ähnlichen Situationen und dies über eine längere Zeit hinweg.
Eine Liste aller möglichen Verhaltensauffälligkeiten wäre sehr lang und kaum erschöpfend. Diese zeigen sich im körperlichen Bereich (Ess- und Schlafstörungen, Nägelkauen, Haare ausreißen, selbstverletzendes Verhalten, usw.), im psychischen Bereich (Ängste, Depressionen, starke Schüchternheit, usw.), im sozialen Bereich (aggressives Verhalten, Kontaktprobleme, Zerstörungswut, Delinquenz, usw.) und/oder im Arbeits- und Leistungsbereich (Lern- und Konzentrationsstörungen, Schulversagen, Schulangst, Lernstörungen, usw.).
Welches Verhalten als „unauffällig“ und welches als „störend“ empfunden wird, hängt aber sehr stark mit den in der Gesellschaft und im sozialen Umfeld des Kindes und Jugendlichen verankerten Werten und Normen ab sowie von den ganz persönlichen Erwartungen an das Kind oder den Jugendlichen.
Für alle Verhaltensauffälligkeiten gilt, dass sich betroffene Kinder und Jugendliche selbst stark in ihrer Entwicklung beeinträchtigen oder ihre Verhaltensweisen zu umfangreichen Konflikten mit ihrer Umwelt führen.
Ursachen
Die Ursachen können sehr vielfältig sein, das Kind, der Jugendliche selbst ist ein Körper-Seele-Geist-Wesen, und so spielt auch bei der Suche nach den Ursachen eine ganzheitliche Betrachtungsweise von körperlichen, emotionalen und psychischen Faktoren eine bedeutende Rolle.
Zudem wird das Leben eines Kindes/Jugendlichen von drei Kräften geprägt: Familie, Schule und Freundeskreis. Diese drei Kräfte nehmen in der Entwicklung des Kindes/Jugendlichen eine große Bedeutung ein und sind eng miteinander verknüpft. Die Ursachen von Verhaltensauffälligkeiten können in der Familie, in der Schule oder in der Freundesgruppe liegen, aber auch im Kind selbst. In der Regel liegen stets mehrere Ursachenfaktoren vor. Wir Erwachsenen neigen leicht dazu, nur eine erklärende Ursache für die Verhaltensauffälligkeiten eines Kindes/Jugendlichen zu identifizieren und diese möglichst nicht mit uns selbst in Verbindung zu bringen. Es ist daher sehr wichtig, die Situation immer in ihrer Gesamtheit zu betrachten und zu prüfen, inwieweit Familie, Schule und Freundesgruppe in die Hilfe miteinbezogen werden müssen. Daher spricht man immer häufiger von einem sogenannten „systemischen“ Ansatz im Umgang mit einem auffälligen Verhalten.
Das Kind, der Jugendliche ist Mitglied mehrerer Systeme (Familie, Schule, Freundeskreis, …..), in denen es mit verschiedenen Erwartungen, Regeln, Rollen, Beziehungen, Einstellungen, Normen, Interaktionsmustern, …… konfrontiert wird. Die Ursachen von Verhaltensauffälligkeiten können in allen Systemen oder in deren Interaktionen liegen. Sich nur auf das Kind, den Jugendlichen zu konzentrieren und die Auffälligkeit ausschließlich an ihm/ihr festzumachen, greift daher zu kurz.
Eventuellen organischen, biologischen oder psychischen Ursachen muss ein Platz in der Betrachtung des Kindes, des Jugendlichen eingeräumt werden. Eine diagnostische und mitunter auch ärztliche Abklärung ist unerlässlich, bevor ein Kind/Jugendlicher in seinem Verhalten als „auffällig“ bewertet werden darf.
Darüber hinaus sollte man, sowohl als Eltern wie auch als Lehrpersonen das Kind, den Jugendlichen in verschiedenen Situationen beobachten: Im Vordergrund sollte eine stärken- und ressourcenorientierte Beobachtung stehen und es sollte sich nicht ausschließlich auf das problematische Verhalten konzentriert werden, sondern auf den Entwicklungsstand, die sozialen Beziehungen, die Stärken und Schwächen, die Kompetenzen und die Potentiale des Kindes/Jugendlichen.
Anschließend sollten die Situationen genauer betrachtet werden, in denen die Verhaltensauffälligkeiten auftreten. Dabei ist es unerlässlich, das eigene Verhalten als Eltern oder Lehrperson gegenüber dem Kind/Jugendlichen sowie den Kontext zu beachten.
Haltung im Umgang mit auffälligem Verhalten
Professor Ross W. Greene spricht in seinem Buch „Verloren in der Schule“ nicht von verhaltensauffälligen Kindern, er spricht von „Kindern mit einem herausfordernden Verhalten“ oder von „herausfordernden Kindern“.
Sein Ansatz im Umgang mit diesen Kindern und Jugendlichen beruht auf der Prämisse, dass Kinder ihre Sache gut machen, wenn sie es können. Er geht davon aus, dass hinter jeder Verhaltensauffälligkeit ein ungelöstes Problem, ein Kompetenzdefizit oder beides steckt.
Er unterscheidet hinsichtlich des Umgangs zwischen 3 Plänen: Plan A (Willen aufzwingen), Plan B (kollaboratives Problemlösen) und Plan C (von einer bestimmten Erwartung Abstand nehmen).
Plan B wird seitens des Autors deutlich gegenüber den beiden anderen Handlungsplänen präferiert. Durch das kollaborative Problemlösen wird partnerschaftlich auf ein gemeinsames Ziel hingearbeitet, welches darin besteht, das Kind, den Jugendlichen wirksam zu unterstützen und in beiderseitigem Einvernehmen zu einem Handlungsplan zu gelangen, der für beide Seiten realistisch und zufriedenstellend ist.
Bedeutend ist hier vor allem die Haltung: Es geht nicht darum, ein Kind, einen Jugendlichen in seinem ganzen Wesen als verhaltensauffällig zu definieren und zu etikettieren. Ziel ist auch nicht, den „Kopf in den Sand zu stecken“, sich handlungsunfähig zu fühlen oder die Kinder und Jugendlichen in der Art zu verbiegen, wie man selbst sie gerne hätte.
Es geht darum, Interesse für ihre Verhaltensweisen aufzubringen, die Herausforderung im Umgang mit ihnen anzunehmen und das „Warum?“ hinter dem Verhalten zu verstehen.
Aus diesem Verständnis heraus können Lösungsansätze entwickelt werden und dies im gegenseitigen Austausch mit den Eltern und Lehrpersonen, im Unterrichtsteam, mit Experten und dem Kind/Jugendlichen selbst.
Im Mittelpunkt steht stets das Kind, der Jugendliche mit seinen Bedürfnissen, seinem Verhalten und dem, was er sich damit absichert, die Stärkung seiner Ressourcen und die Frage, in welcher Weise ein jeder der Akteure bei sich Möglichkeiten der Unterstützung und der Veränderung sieht.
Daraus ergeben sich Veränderungen: Veränderungen des eigenen Verhaltens, der Angebote, der Unterrichtsgestaltung, der Erziehung, der Zeitgestaltung, der gemeinsamen Gespräche, der Rückmeldungen, der Wertschätzung usw. Es gibt viele Ebenen, auf denen konkret und nachhaltig Veränderungen eingebracht werden können.
In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung:
- Ziele zu setzen, jedoch akzeptable, realistische, überschaubare und messbare Ziele!
- Wertschätzung gegenüber dem Kind/Jugendlichen und seinen Bemühungen zu zeigen!
- Achtsam gegenüber sich selbst als Eltern oder Lehrperson zu sein!
- Prozessdenken zuzulassen: Verhalten entwickelt sich, auch ungünstiges und herausforderndes Verhalten. Der Umgang damit erfordert Zeit und Geduld. Misserfolge im Lösungsprozess gehören dazu, aber auch sie ergeben wichtige Erkenntnisse.
Prävention
Psychische Stärke und Gesundheit entwickelt sich aus den Erfahrungen, die ein Jeder in seinem Alltag und mit seinem Umfeld macht. Die für die psychische Gesundheit und Bewältigung von Herausforderungen notwendigen Eigenschaften und Fähigkeiten entwickelt ein Kind vom Tag seiner Geburt an und dies vor allem mit der Unterstützung seiner Eltern und anderer wichtiger Familienmitglieder, mit Lehrpersonen, mit Freunden und in der Gesellschaft. Wie Beziehung gelebt, wie Familienklima, Klassenklima oder Freundschaft gestaltet, wie das Kind begleitet und wie ihm Halt gegeben wird, beeinflusst maßgeblich die Entfaltung der Möglichkeiten des Kindes/Jugendlichen.
Eltern unterstützen die Entwicklung des Selbstwertgefühls, der Erfahrung von Selbstwirksamkeit und der Selbstständigkeit ihres Kindes, indem es Wertschätzung, bedingungslose Liebe und Zuwendung erfährt.
Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit und Fürsorge, sinnvolle Regeln und nachvollziehbare Grenzen, Regelmäßigkeiten im Alltag, Strukturen und Rituale sind ebenfalls wichtige Zutaten zu gelingender Prävention herausfordernden Verhaltens. Zudem ist es wichtig, das Durchhaltevermögen, die Geduld, die Konfliktfähigkeit und das Mitgefühl der betroffenen Akteure zu stärken.
Als Lehrperson ist es von Bedeutung, eine wertschätzende Beziehung zwischen sich und seinen Schülern zu schaffen. Die Beziehung soll ermutigend wirken, Selbstvertrauen stärken und Halt geben. Verschiedene Aspekte eines lernförderlichen Klimas tragen dazu bei, dass Verhaltensauffälligkeiten reduziert werden können. Hilfreich, um nur einige Maßnahmenmöglichkeiten zu nennen, sind eine klare Tagesstruktur im Unterricht, ein individualisierter Unterricht, klare und überschaubare Regeln sowie die Klassenraumgestaltung.
Die Schule hat in diesem Kontext die Aufgabe, ein positives Lebens- und Lernklima in der Schule zu fördern, die Motivation der Lehrpersonen zu erhalten und die räumlichen Bedingungen zu optimieren. In diesem Zusammenhang spielen überschaubare Klassengrößen ebenfalls eine wichtige Rolle.
Angebot Kaleido
Die gesunde Entwicklung der körperlichen und mentalen Gesundheit sowie der präventive Gedanke bilden den Mittelpunkt unserer Arbeit.
Im Bereich der Prävention bieten wir mit den Vorsorgeuntersuchungen und der Eltern-Kind-Bildung (EKB) bereits ab der Geburt ihres Kindes den Eltern eine Unterstützung in ihrem Eltern-Sein an.
Diverse Klassenanimationen und die Projekte Papilio, Fairplayer, Medienhelden, WOWW zielen darauf ab, die Sozialkompetenzen der Kinder und Jugendlichen zu fördern und zu stärken.
Im Bereich der Intervention steht der systemische Ansatz im Vordergrund. Es gilt zunächst mit dem Kind, dem Jugendlichen dessen Unwohlsein sich in einem auffälligen Verhalten äußert, eine offene und wertschätzende Beziehung aufzubauen. Im Vordergrund steht ein besseres Verständnis für die diversen Verhaltensauffälligkeiten, ein Blick auf die Stärken und Schwächen sowie auf die Möglichkeiten, die genutzt werden können und die Grenzen, die es zu respektieren gilt. Genutzt werden Gespräche mit dem Kind/Jugendlichen, Gespräche mit seinen Eltern und Lehrpersonen, Beobachtungen und wissenschaftlich bewährte Testverfahren. Gegebenenfalls wird auch eine medizinische Diagnose empfohlen. Mit dem Betroffenen, seinen Eltern, der Schule und anderen wichtigen Lebensorten gilt es gemeinsam Lösungen zu entwickeln und bei jedem der Akteure Verhaltensweisen nachhaltig unterstützend zu verändern.