Kaleido Ostbelgien


Selbstverletzendes Verhalten bei Jugendlichen

Die Zahl derer, die sich selbst absichtlich verletzen lässt sich nur schwer bestimmen, aber die Tendenz ist steigend. Selbstverletzendes Verhalten tritt häufig im Jugendalter auf und ist ein ernst zu nehmendes Warnsignal, da es häufig als Begleiterscheinung anderer psychischer Störungen auftreten kann. Ebenso wie die Form der Selbstverletzung können die Hintergründe, warum sich Jugendliche selbstverletzen, ganz verschieden sein.

 

Was versteht man unter selbstverletzendem Verhalten?

Zunächst ist es wichtig, selbstverletzendes Verhalten ohne suizidale Absicht von Verletzungen mit suizidaler Absicht zu unterscheiden.

Selbstverletzendes Verhalten ohne suizidale Absicht definiert sich durch die wiederholte und freiwillige Verletzung des eigenen Körpers. In diesem Fall beabsichtigt die handelnde Person nicht, sich durch diese Verletzungen das Leben zu nehmen.

Unter Verletzungen mit suizidaler Absicht versteht man Verletzungen, die bewusst auf eine Weise ausgeführt werden, die zum Tod führen soll.  Am häufigsten sind oberflächliche Schnittverletzungen, die durch einen scharfen Gegenstand, wie etwa einer Rasierklinge zugefügt werden. Aber auch Verbrennungen, beispielsweise mit einer Zigarette oder einem Bügeleisen, sowie starkes Kratzen, Haare ausreißen oder giftige Substanzen schlucken, gehören zu selbstverletzendem Verhalten. Die Körperregionen, an denen die Verletzungen auftreten können, können zwar unterschiedlich sein, aber meist werden gut sichtbare Körperregionen bevorzugt.

Selbstverletzendes Verhalten tritt als Symptom für schwere psychische Belastungen, wie beispielsweise einer Depression, einer Ess- oder Zwangsstörung, einem mangelnden Selbstwertgefühl oder schwacher Selbstregulierungskraft, auf. Es ist also nicht notwendigerweise ein eigenständiges Krankheitsbild.

Selbstverletzung ist eine ernsthafte Erkrankung bei Jugendlichen, da sie schnell zu suchtartigem Verhalten werden kann. Hinzukommt, dass die Selbstverletzung meist heimlich praktiziert und durch Kleidung gut versteckt werden kann. Wenn die Hilfe ausbleibt und das selbstverletzende Verhalten zur Gewohnheit wird, kann dies zu Gefühlskälte und emotionaler Abkapselung führen.

Gründe für selbstverletzendes Verhalten bei Jugendlichen

Die Hintergründe für selbstverletzendes Verhalten können sehr unterschiedlich sein. Zum einen ist dieses Verhalten häufig eine Methode, um Emotionen zu regulieren. Durch das Zufügen von Schmerzen erhoffen sich die Jugendlichen, unerwünschte Emotionen und psychische Spannungen zu unterbrechen. In emotionsgeladenen Situationen baut sich ein psychischer Druck auf, der für manche Jugendlichen, die über eine schwache Emotionsregulationsfähigkeit verfügen, als sehr belastend und unangenehm empfunden werden kann. Um die Kontrolle über die eigenen Gefühle zurückzuerlangen, fügt sich der Jugendliche selbst Verletzungen zu. Durch dieses Verhalten nimmt der psychische Druck zwar ab, jedoch ist der Effekt nur von kurzer Dauer. Empfindet der Jugendliche nach dem Akt der Selbstverletzung aber eine Erleichterung, kann sich schnell ein suchartiges Verhalten einstellen.

Zum anderen dient das Zufügen von Schmerzen dazu, ein emotionales oder körperliches Taubheitsgefühl zu lindern. Jugendliche, die ein starkes Gefühl des Versagens empfinden, benutzen selbstverletzendes Verhalten, um Wut gegen sich selbst auszudrücken oder sich selbst abzuwerten. In diesem Fall dient die Selbstverletzung gewissermaßen als Selbstbestrafung.

Selbstverletzendes Verhalten kann außerdem ein Hilferuf sein. Dahinter kann sich ein traumatisches Erlebnis verbergen, sei es sexueller Missbrauch oder körperliche Gewalt. In manchen Fällen ist es auch ein Mangel an Zuwendung oder ein Gefühl der Vernachlässigung, der die Jugendlichen dazu bringt, sich selbst zu verletzen.

Was können Eltern tun, wenn sie feststellen, dass sich ihr Jugendlicher selbst verletzt?

Wenn Eltern oder andere Bezugspersonen im Umfeld des Jugendlichen entsprechende Auffälligkeiten wahrnehmen, ist es zunächst wichtig, dem Jugendlichen deutlich zu machen, dass sie die Situation ernst nehmen, sich sorgen und ihm helfen wollen. Auch wenn der Jugendliche nicht direkt gesprächsbereit ist, kann es für ihn gut sein zu wissen, dass seine Eltern für ihn da sind. Die Eltern können versuchen, die Hintergründe des Verhaltens zu erfragen. Anschließend können sie gemeinsam mit dem Jugendlichen überlegen, wie dieser seine Probleme oder emotionale Spannungen anders und auf eine weniger selbstschädigende Weise verarbeiten kann. Dies verlangt Geduld und stetige Zuwendung seitens der Eltern.

Tritt nach einer gewissen Zeit keine Verbesserung der Situation ein, ist es erforderlich, sich direkt an Fachleute (z.B. Psychologen, Psychiater) oder an eine Beratungsstelle (z.B. Kaleido Ostbelgien, BTZ) zu wenden. Bei Jugendlichen mit selbstverletzendem Verhalten wird oftmals eine kognitive Verhaltenstherapie empfohlen. Ziel dieser Therapie ist es, die negativen Verhaltensweisen Schritt für Schritt abzubauen und konstruktivere Bewältigungsstrategien für emotional belastende Situation zu erlernen. Natürlich besteht ein erster Schritt auch darin, die individuelle Problematik und Hintergründe des selbstverletzenden Verhaltens zu erforschen.

Gruppentherapien können ebenfalls hilfreich sein, damit Jugendliche ihre Verhaltensfertigkeiten weiterentwickeln. Im Zuge dieser Gruppensitzungen werden beispielsweise Achtsamkeit, Emotionsregulierung und Stresstoleranz erarbeitet.